2. Schützendivision

Die polnischen Soldaten, die in den Jahren 1940-1945 in der Schweiz interniert waren

Nach der Niederlage der polnischen Armee im September 1939 brachen viele Soldaten nach Frankreich auf, wo eine neue polnische Armee am Entstehen war. Als Frankreich 1940 kapitulierte, überschritten 50’000 französische Soldaten – darunter zwei polnische Divisionen – in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1940 die Grenze zur Schweiz und wurden sogleich interniert. Über 13’000 polnische Soldaten wurden in der Schweiz interniert. Die Soldaten legten nach dem Grenzübertritt Waffen und Munition nieder. Anfänglich wurden sie im «Concentrationslager» in Büren an der Aare zusammengefasst, später in Internierungslagern im Gebiet Napf sowie in den Berner Regionen Oberland und Seeland. Ab Frühjahr 1941 wurden die Internierten Lagern zugeteilt, die auf dem Gebiet der ganzen Schweiz zerstreut waren. Die Lager wurden in 7 Hauptbezirke eingeteilt:

– Baselland/Aarau mit Sitz in Baden

– Graubünden mit Sitz in Chur

– Reuss mit Sitz in Küssnacht am Rigi (Kanton Schwyz)

– Rhône mit Sitz in Aigle, später in Vevey (Kanton Waadt)

– Seeland mit Sitz in St. Blaise (Kanton Neuenburg)

– Tessin mit Sitz in Lugano

– Thurgau mit Sitz in Wil (Kanton St. Gallen)

Mit der Zeit wurde ein sog. Schulungssektor mit Sitz in Winterthur gebildet, dem alle Lager mit Schulbetrieb unterstellt waren. Die internierten Soldaten wurden zu verschiedenen Arbeiten abkommandiert: In Landwirtschaftsbetrieben, beim Bau von Strassen und Brücken, in der Forstwirtschaft und im Bergbau. Sie haben einen bedeutenden Beitrag geleistet zur Funktionstüchtigkeit der Wirtschaft in der Schweiz und zu deren Infrastruktur. Dank der Arbeit der Internierten konnten Projekte verwirklicht werden, die ohne ihren Beitrag nicht hätten durchgeführt werden können.

Den Soldaten wurde ein Studium auf allen Bildungsstufen ermöglicht, indem man die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllte. In Freiburg und in Herisau wurden Universitätslager eingerichtet. Bis zum Kriegsende erwarben internierte Soldaten 445 Diplome über einen Hochschulabschluss an den Universitäten Freiburg und Zürich wie auch an der Höheren Wirtschaftsschule von St. Gallen und am Technikum Winterthur,. Die Polen konnten in den Lagern eine eigene Zeitung herausgeben sowie Kulturprogramme für ihre nationalen und religiösen Feiertage auf die Beine stellen. Bei diesen Bemühungen wurden sie von Polenmuseum in Rapperswil unterstützt. Die polnischen Soldaten fanden herzliche Aufnahme bei der lokalen Bevölkerung. Zur besseren Kontrolle der internierten Soldaten gaben die schweizerischen Behörden den sog. «Orangen Befehl» heraus, der die Bedingungen für Kontakte zwischen den polnischen Soldaten und der lokalen Zivilbevölkerung klar regelte. Verboten wurden individuelle Postsendungen, die Benutzung von Telefonapparaten, das Unterhalten privater Kontakte sowie das Schliessen von gemischten Ehen. Oberbefehlshaber über die polnischen Einheiten war Divisionär Bronisław Prugar-Ketling, schweizerischerseits war für die Organisation und den Betrieb der Internierungslager General Henri Guisan verantwortlich.

Am 15. Dezember 1945 ging die Internierung polnischer Soldaten offiziell zu Ende. Ein Teil von ihnen kehrte mit ihrem Oberbefehlshaber Bronisław Prugar-Ketling nach Polen zurück. Die Mehrheit wollte aber nicht mehr in die von der UdSSR geknechtete Heimat zurück. Sie wählten die Emigration, bevorzugte Länder waren dabei England, Frankreich, Australien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Um die tausend Soldaten blieben in der Schweiz. Viele von ihnen trugen aktiv dazu bei, dass das Polenmuseum in Rapperswil 1954 wiedereröffnet werden konnte, nachdem es 1952 wegen unakzeptierbaren Handlungen der Behörden des kommunistischen Polen hatte geschlossen werden müssen. Diejenigen, die in andere Länder ausgewandert waren, unterstützten das Museum entweder finanziell oder durch die Überstellung von Geschenken an das neu entstehende Museum.

Worte der Anerkennung für die Schweiz von Ministerpräsident Tomasz Arciszewski, erschienen im «Goniec obozowy» (Lagerbote) 2 (114) als Zusammen-fassung eines umfangreicheren Schreibens in den «Basler Nachrichten» vom 10. Januar 1945.

„Die Schweiz ist in der Geschichte schon mehrfach eine Oase für Polen gewesen. Unsere Dankesschuld gegenüber diesem tapferen Land hat sich während des gegenwärtigen Krieges noch vergrössert. Wir schulden der Schweiz Dankbarkeit für die Gastfreundschaft und die Betreuung, die tausende unserer Soldaten und Bürger er-fahren haben, sowie für die zahlreichen Beweise von Sympathie für Polen. Ich kann, da ich erst kürzlich Polen verlassen habe, bezeugen, dass dieses Gefühl in Polen von allen geteilt wird. Wir halten die Schweiz für ein Beispiel dafür, wie viel Gutes ein Land – allein durch die Anwendung der Grundsätze der Freiheit im Alltag – bewirken kann, auch wenn es von allen Seiten von einer bewaffneten Macht umgeben ist. Dadurch hat die Schweiz der Welt gezeigt, dass nicht nur die Kampfbereitschaft auf dem Schlachtfeld, sondern auch der Mut, den eigenen Grundsätzen treu zu bleiben, zu den wirklichen Charakterzügen der Demokratie gehört“.

Divisionär Bronisław PRUGAR-KETLING

«Goniec obozowy» (Lagerbote) vom 21. Mai 1945 Nr. 15 (127)

Soldaten!

«Der von uns langersehnte Augenblick ist gekommen. Nach fünfjährigem Aufenthalt im schönen Schweizerland verlassen wir dessen gastfreundliche Schwellen. In diesem Augenblick, der für uns so wichtig ist, wende ich mich an euch, meine geliebten Soldaten, als Euer Kommandant, der mit euch alle guten und schlechten Momente in Kampf und Irrfahrt durchlebt hat, mit einem inbrünstigen Appell: Erhaltet in eurem Herzen bis zum Schluss die Liebe zum Vaterland und soldatische Disziplin und Ehre. Bleibt bis zum Schluss den Idealen treu, die uns auf den Schlachtfeldern Frankreichs wie auch in den langen Jahren der Internierung vorschwebten und die für uns trotz den vielen Schwierigkeiten und Erfahrungen, die wir durchlebt haben, das wesentliche einigende Band waren, die unsere durch das Schicksal des Krieges zufällig zusammengewürfelte soldatische Familie zusammenhielt. Denkt daran, dass wir genau diesen Vorzügen die allgemeine Achtung und Sympathie verdanken, die uns das tapfere Schweizervolk entgegengebracht hat. Achtet darauf, dass ihr bis zum letzten Augenblick unseres Aufenthaltes in diesem Land die ehrenvolle Errungenschaft von fünf Jahren schwerer Arbeit und Dienst würdevoll bewahrt, damit ihr auf lange Jahre möglichst gute und durch nichts getrübte Erinnerungen an euch zurücklässt. Die von uns allen geknüpften herzlichen Freundschaftsbande sollen Ausgangspunkt sein für eine enge Zusammenarbeit beider Völker, die von echter Sympathie und gegenseitiger Achtung geprägt und auf viele, viele Jahre ausgerichtet sein möge. Lasst deshalb alle kleinen Unannehmlichkeiten, die ihr vielleicht sporadisch von einzelnen Menschen erfahren habt, in Vergessenheit geraten, und bewahrt in euren Herzen ausschliesslich die Dankbarkeit gegenüber dem edlen Schweizervolk, das zu unserer Aufnahme sein Herz sperrangelweit geöffnet hat, uns fürsorgliche Betreuung angedeihen liess und in seinen Gefühlen uns gegenüber konstant geblieben ist. Vergeltet es ihm mit Gleichem!

Geliebte Soldaten, ich verabschiede mich von euch und danke allen in Namen des Dienstes für die gewissenhafte Erfüllung der Soldatenpflicht.

Ich danke euch, Kollegen Offiziere, die ihr bei den Einheiten im Stab ausgeharrt habt, für die Hilfe und die Mitarbeit bei der Betreuung der Soldaten, für die solide Ausführung eurer Führungsaufgaben und für das Vertrauen, das ihr in mich gesetzt habt.

Ich danke euch, Unteroffiziere, für das Verständnis eurer Rolle von Vorkämpfern, die in den Einheiten vorausgehen, für das vorbildhafte Ausüben dieser Rolle, für das Teilen aller Mühen und Beschwerlichkeiten in fachgerechter soldatischer Haltung sowie für euren Dienst an dieser Rolle durch Rat und Beistand.

Ich danke euch, Füsiliere, Kanoniere und Ulanen, für das Bewahren soldatischer Haltung, für die Disziplin und das würdevolle Vertreten der polnischen Nation im Ausland sowie für das zuverlässige und gewissenhafte Erfüllen der Schuldigkeiten bis zum Schluss.

Euch allen wünsche ich ein günstiges Schicksal für euch selber und für eure Familien sowie rasche Rückkehr in ein freies und unabhängiges Polen.

DIVISIONSKOMMANDANT

PRUGAR-KETLING

Divisionär

Meilen, den 12. Mai 1945

 

Artikel von Ewa Wąsik, Internierte Polen in der Schweiz 1940 -1945. Am Beispiel von Leutnant Stefan Wąsik >>>

 

Teil 1.

Teil 2.

Teil 3.

Teil 4.